Une Partie de Soi + How A Spiral Works + 60% Banan
Zwischen Verbundenheit und Abhängigkeit
Zwei Frauen verbunden durch eine Nabelschnur. Sie hängen aneinander, sind im wahrsten Sinne abhängig voneinander. Sie begrenzen sich, sie unterstützen sich, sie regen sich an und lösen sich zum Schluss voneinander.
Doch wer hängt von wem ab? Das wechselt in “How A Spiral Works” ständig. Zwischen Hair Hanging, Vertikalseilakrobatik, Tanz und baltischen Gesängen entwickelt sich eine hypnotische Show, die bis ins kleinste Detail durchkomponiert ist.
Zunächst wirkt es so, als wenn die Frau, die mit ihren Haaren an dem Vertikal-Seil festhängt, Gefangene ihrer Umstände ist. Sie dreht sich im Kreis, versucht sich zu befreien, doch vergeblich. Ihr Spielraum ist so beschränkt, dass ihr nur abgezirkelte Bewegungen ermöglicht sind, die aber eine solche Schönheit entfalten, als wenn sie gerade eine komplizierte Bodenchoreographie entwickelt. Dabei hängt sie an ihren Haaren fest, während ihren „Breakdance“ zeigt.
Die zweite Frau greift ein. Sie schnappt sich das Seil und schwingt sich daran in die Höhe. Sie braucht die Frau am Boden, um einen sicheren Anker zu haben, damit sie am Vertikalseil ihre Drehungen und Schwünge vollführen kann. Die untere Frauen hält die Stellung und gibt ihr die Stabilität, um sich auch mal eine Zeit lang richtig hängen zu lassen. Dennoch ist klar: Die Kunststücke der Seilartistin führen zu ständigem Zug auf den Haaren der Anderen. Ihr Zopf ist so gespannt wie die Verlängerung durch das Seil. Irgendwann greift sie beherzt zur Eigeninitiative, zieht sich mehr Seil heran und benutzt nun ihren Zopf als Führungsseil, mit dem sie ihre Partnerin im Kreis herum schwingt. Sie ist jetzt die treibende Kraft, die deren Bewegungen lenkt und kontrolliert.
Die Beiden halten beständig Blickkontakt, denn sie wissen um ihre gegenseitige Abhängigkeit. Ihre Verbindung ist existenziell. Die Musik, die dabei zwischen Choral und Volksmusik changiert, erzeugt eine düstere, mystische Atmosphäre mit einem Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Es ist eine faszinierende Arbeit entstanden, die das Kollektiv „Art for Rain days“ (Izabelė Kuzelytė (LT), Alise Bokaldere (LV) and Jason Dupree (UK) hier zusammen kreiert hat. Sie nimmt vom ersten Augenblick gefangen und ihre Spannung lässt bis zum überraschenden Ende nicht nach. Ein bisheriges Highlight des Festivals, das mit seiner dramaturgisch perfekt gestalteten Komposition begeistert, weil das Team ganz dem eigenen Konzept vertraut und völlig auf schnelle Show-Effekte verzichtet.
Zwischen zärtlicher Erkundung und politischem Auftrag
Zwei Kurzstücke erkunden den Chinese Pole auf sehr unterschiedliche Art. Einmal ist er nur Mittel zum Zweck und einmal steht er ganz im Zentrum der Aufmerksamkeit.
„Tragt dieses Bild raus in die Welt, zeigt es den Zynikern, die behaupten, die Welt sei angesichts der vielen Herausforderungen nicht mehr zu retten.“ Dazu ist der Niederländer Monki in 60% Banana über die Bühne gekraxelt, ins Schwitzen geraten, hat sich verrenkt, hat sich gefährdet, hat balanciert, sich über Kopf an die Reckstange gehängt und hat keine Mühen gescheut, um an den drei Stangen, die sich senkrecht auf der Bühne in die Höhe recken, seine Graphen zu zeichnen. Mit flexiblen, verschieden farbigen Bändern, die er stets an die (fast) statistisch korrekte Position zwischen die drei Stangen spannt. Als Fixpunkt hat er die drei Jahre 1950, 1988 (sein Geburtsjahr) und 2025 genommen. Nun beweist er mit vielen Zahlen, dass die Armut, die Sterblichkeit und die Kriegstotenzahl gefallen und die Bildung und die Lebenserwartung gestiegen sind. Und das bei stets zunehmender Weltbevölkerung. Wenn er zum Schluss mit drei Zuschauer:innen die Weiterentwicklung in der Zukunft in die Lüfte malt, wirft er die Bänder für die zusätzlichen Herausforderungen über die Linien. Doch sollten wir diese nicht auch bewältigen können, wenn die gerade demonstrierten Erfolge schon geschafft worden sind? Ein überaus sympathisches Postulat für die Menschlichkeit und ihre Möglichkeiten.
João Paulo Santos scheint in “Une Partie de Soi” mit seinem Tanz mit dem Mast die Schwerkraft außer Kraft zu setzen. Er läuft den Pole nach oben, als wenn er auf dem Boden unterwegs wäre. Er legt sich waagerecht in die Luft, nur mit seinen Beinen an der Stange geklemmt. Er hat die Stange stets fest im Blick. Sie ist seine Partnerin, die ihm Halt gibt, aber jederzeit auch loslassen kann, wenn er ihr zu wenig Respekt erweisen würde. Nur einmal ändert er für kurze Zeit sein Tempo. Er hopst auf der Stange nach oben und wieder herunter, als wenn er mit ihr spielen würde. Wie ein kurzes Auflachen, wie ein schneller Witz, den beide teilen. Doch ihre Beziehung ist eigentlich eine andere. Schnell nimmt er wieder seinen Pole liebe- und verständnisvoll in den Blick und erkundet vorsichtig, gemächlich und zärtlich ihre Beziehung. Wer noch einen Beweis der Vielfalt des zeitgenössischen Circus brauchte, bekam ihn an diesem Tag auf dem Circus Gelände geliefert. Auch die Vielfalt des Berliner Wetters kam dazu. Während pünktlich zu Vorstellungsbeginn die Sonne strahlte, donnerte während der zweiten der Platzregen auf das Zeltdach.
Birgit Schmalmack vom 6.8.25
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