Bello + Heavy Motors, Circus Festival

Bello
© Fabbrica C
Vom alltäglichen Wahnsinn
„Was ich hier mache? Ich warte. Die Wartenummer 53 wird aufgerufen, doch ich hatte 27 und stehe immer noch hier.“ Viele solcher ganz alltägliche Geschichten wird der schlanke Mann im Laufe des Abends erzählen. Sie enden immer abrupt, denn plötzlich stürmen sechs Leute zu ihm auf die Bühne und hindern ihm am Weiterspinnen seiner Storys. Sie versuchen ihn überwältigen mit ihrer Kraft der Gruppe. Unversehens wird er hineingezogen in ihr Zusammenwirken, das so reibungslos abläuft.
Wie eine Maschine, wie ein ineinandergreifender Motor agieren sie. Ohne sich groß abstimmen zu müssen, funktionieren sie in der Gemeinschaft. So schnell man zu verstanden geglaubt hat, was hier bei „Bello“ die Aussage sein soll, so schnell wird man eines Besseren belehrt. Denn diese Arbeit der italienischen Compagnie „Fabricca C“ lebt von den Brüchen. Nicht nur wagt der Erzähler immer wieder einen natürlich scheiternden Anlauf, eine weitere Geschichte aus seinem Durchschnittsleben zu beginnen, sondern auch die sechs Artist:innen erzählen mit ihren Mitteln immer neue Geschichten.
Plötzlich ist aus der Gemeinschaft, die eben noch harmonisch zusammenarbeitete, eine geworden, die sich in Konkurrenz zueinander begreift. Mal stoßen sie sich gegenseitig vom Platz im Scheinwerferkegel, mal versuchen sie sich gegenseitig mit immer neuen Darbietungen zu übertrumpfen, mal treten sie wie in einer Casting-Show gegeneinander an. Statt gemeinsamen Ergebnissen scheint nun ihr Ziel zu sein, um jeden Preis die Aufmerksamkeit gewinnen.
Das ist aber nichts gegen die Überraschung, als sie plötzlich alle als Tänzerinnen im pinkfarbenen Tütü herauskommen, alle mit freiem Oberkörper und abgeklebten Brustwarzen und einen weiteren Beweis ihrer Wandlungsfähigkeit hinlegen. Sie präsentieren eine Diversity, die Platz für alle bietet. Sogar für den Erzähler, der sich ebenfalls im pinken Tütü wiederfindet. Die Vielfalt des Lebens, das sich nicht auf eine für alle passende Formel bringen lässt, feiert diese Arbeit. Weder besteht das Leben nur aus wohlmeinender Teamarbeit und verklärender Schönheit, noch aus ständigem Widerstreit und Konkurrenzdruck, weder aus unlösbaren Alltagsproblemen noch aus einer Harmonie, die alles auffängt. Sondern es besteht aus immer neuen unterschiedlichen Begegnungen und Herausforderungen, in denen immer neue Möglichkeiten entdeckt und genutzt werden können. Und das tun die Sieben auf der Bühne in vorbildlicher Art und Weise. Sie stürzen sich beherzt mit großer Lust und Energie in immer neue Abenteuer. Nie ist irgendwas für die nächste Episode geklärt, immer gilt es, für neue Erfahrungen offen zu bleiben.
Das gilt auch für die zweite Vorstellung des Abschlussabends auf dem diesjährigen Berlin Circus Festivals „heavy motors“: Doch deren Herausforderungen sind ganz andere, wenn auch nicht weniger abenteuerlich . Die drei Performer:innen von „society protectrice de petites idees“ haben dieses Mal einen vierten Mitspieler dabei: Sie kommen mit einem kleinen silbernen Flitzer auf die Outdoorbühne gefahren, der immer die Regie über ihre Performance zu übernehmen scheint. Dieses Auto hat einen eigenen Willen, der sich nicht immer dem der Drei einfügen möchte. Da fährt er alleine im Kreis herum und lässt sich nur mit einem beherzten Sprung in das Innere stoppen. Da führt er seine eigene Lightshow auf, die den Performer fast die Aufmerksamkeit stiehlt. Da klemmt er dem Mann die Hand in der Tür ein, so dass sie hinterher schlapp herunterhängt. Da öffnet sich die Hecktür wie von Zauberhand. Da erblühen unter der Motorhaube plötzlich Blumen.
Doch die Performer versuchen tapfer gegenzuhalten. Auch sie sprühen nur so über vor lauter Ideen. Sie machen Breakdance auf dem Dach, sie legen eine flashige Choreographie ganz ohne ihren vierten Kompagnon hin, sie schlagen sich mit nervigen Katzen herum, sie zünden immer weitere (ganz reale) Raketen auf dem Gelände. Auch eine direkt unter dem silbernen Vierten im Bunde. So wird ihre gemeinsame Show zu einem Feuerwerk an absurden Ideen, die Slapstick mit Akrobatik, ein wenig Blut und viel Selbstironie verbinden. Ihre „idees“ mögen „petites“ sein, aber sie werden mit großer technischer Perfektion umgesetzt. Ihre vor sarkastischem Humor sprühende Show führte im Publikum zu vielen Aha- und Oh-Momenten, unkontrolliertem Kichern und unvermittelten Lachsalven. Und am Ende zu verdientem, lang anhaltendem Applaus.
Birgit Schmalmack vom 11.8.25
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