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A perfect sky, DSH

Wie ihr, nur ohne Fehler

Noch hat die KI in der Realität keinen Körper, aber hier im Schauspielhaus schon: Sandra Gerling ist die „Intelligenz“, die in immer neuen extravaganten Kostümen und Frisuren auf die völlig weiße Bühne kommt, und sich ihre Gedanken über die merkwürdigen Wesen macht, denen sie immer ähnlicher werden möchte. „Ich möchte werden wie ihr, nur ohne Fehler.“ Dazu sammelt sie Daten, durchforstet Emails, Chats, Shopping-Aktivitäten, Suchverläufe und Kameraaufzeichnungen. Trotz intensiver Auswertung bleiben einige Fragen offen. Die stellt die Intelligenz den auf der Bühne versammelten Exemplaren dieser Gattung. Was macht dich verletzlich? Was fühlst du bei Liebe? Was macht dir Angst? Denn leider widersetzen sich die Gefühle der Menschen, die aber zum Teil ihre Handlungen bestimmen, der Logik. Sie seien schlicht unvernünftig. Für eine KI, die nach statistischen Wahrscheinlichkeiten vorgeht, also ein großes Problem.

Falk Richter und Anouk van Dyik versuchen diese Fragen rund um den Einsatz der KI in einer Symbiose aus Tanz und Theater zu ergründen. In ihrem Stück am Schauspielhaus stehen die Schauspieler:innen und Tänzer:innen gleichberechtigt auf der Bühne. Ihr beider Spiel verzahnt sich natürlich ineinander. Die Schauspieler:innen sind ebenso in das Bewegungskonzept mit einbezogen, wie die Tänzer:innen auch Texte performen.

Es scheint es so, als wenn die intendierte Berechnung der Menschen durch die KI deren Unvernunft geradezu verstärkt. Denn diese Menschen, die in diesem cleanen Laboragieren, das wie eine Versuchsanordnung mit weißen Versatzstücken aus Bett, Tisch, Sitzgruppe und Felsanordnung ausgestattet ist, beklagen alle ein zunehmendes Aufmerksamkeitsdefizit und ein Chaos im Kopf, das durch die Überflutung mit Reizen im schnellen Tempo befördert wird. Dafür benötigen sie dann zusätzliche Apps, die versprechen, beim Verwenden der anderen Apps für Struktur zu sorgen. Wenn sie dann auch noch eine Unfähigkeit zu Beziehungsaufnahme und zum Ertragen von Nähe feststellen, laden sie sich eine App zur Ermittlung der toxischen Fallstricke in ihrer derzeitigen Beziehung herunter, die nützliche Tipps geben soll.

Deren Auswirkungen kann manzum Beispiel in folgender Szene beobachten: Maximilian Scheidt sitzt mit dem Tänzer Tiemen Stemerding am Tisch. „Maus, ich brauche Raum für mich“, versucht er ihm zu erklären. Er könne seine Gefühle nicht gut erklären, dabei redet er wie ein Wasserfall auf seinen Partner ein. Wenn er schweige, sei das kein Ausdruck einer Zurückweisung, nur einer seiner Unfähigkeit seine Gefühle in Worte zu fassen. Der Tänzer lässt seinen Kopf verzweifelt auf den Tisch knallen, versucht in nervösen Bewegungen seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Scheidt bleibt ungerührt. Selbst als Stemerding ihn umarmt und ihn mit seinem Stuhl zu Boden zieht, steht er einfach wieder auf und redet weiter.

In einer weiteren Szene kommen Christoph Jöde und die etwa zwanzig Jahre jüngere Alberta von Poelnitz mit einer Gitarre und einem Mikro auf die Bühne. Die Computer animierte Bühne ist dafür in warmes Licht getaucht. Ganz analog singt von Poelnitz: „Here comes the rain again, I want to talk like lovers do.“ Ein Rückgriff auf eine Vergangenheit, die zu einem Gespräch zwischen den Generationen führt. Sie wundert sich kopfschüttelnd: Wie hast du dich bloß verabredet? Wie konntest du ein Zugticket kaufen? Wie hast du eine Eisdiele gefunden, wenn du neu in einer Stadt warst? Als er dann in einer ausufernden Geschichte von seiner Suche nach einer Eisdiele berichtet, in deren Verlauf er nicht nur ein perfektes Eis, sondern auch drei dicke Umarmungen erhielt, hat sie schon lange die Geduld verloren und sich verdrückt. Dafür reicht ihre Aufmerksamkeitsspanne schlicht nicht mehr aus.

Dieser Abend ist eine Collage. Er kann nicht den Anspruch erheben alle Aspekte tiefschürfend zu analysieren. Manche werden nur angedeutet. Etwa die Auswirkungen auf ältere Menschen, die mit den technischen Weiterentwicklungen überfordert sind. Oder die zunehmende Überwachung von Menschen, die jede Privatsphäre vernichtet. Und die Überblendung von Realität und Fakes, die die KI schlicht Halluzinationen nennt. „Bald werdet ihr nicht mehr unterscheiden können“, verspricht sie. Auch die möglichen Verbindungen zum Rechtsruck und Kriegstreiberei werden mit ein, zwei Sätzen erwähnt. Doch der Abend ist nur eineinhalb Stunden lang (noch machbar für die Aufmerksamkeitspanne von heutigen Theatergänger:innen) und kann sicher nicht alles abdecken. Dennoch: Der begeisterte Applaus und Jubel des Publikums hinterher ist groß. Es fühlt sich verstanden. Der Wiedererkennungswert in den Rängen war groß, vielleicht auch deswegen, weil der Anteil der Digital Natives dort eher gering war. So passte seine Perspektive gut zu der des (ebenfalls mittelalten) Regieteams, das mit viel Kopfschütteln und einiger Beunruhigung auf die zukünftigen Entwicklungen blickt, jedoch ohne zu dramatisieren. Denn bei aller Sorge: Es ist einfach ein ästhetisch wunderschön anzusehender Abend geworden.

Birgit Schmalmack vom 15.5.25

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