Töchter einer neuen Zeit, Ernst Deutsch Theater
Alles in Bewegung
Auf der Bühne ist alles ständig in Bewegung. Nicht nur die Menschen, sondern auch die Requisiten. Ob Türen, Herde, Bilderrahmen, Tische und Betten – alles wird auf Rollen zu immer neuen Arrangements zusammengestellt, in denen die ultrakurzen Szenen sich abspielen. Denn die Zeit, in der die Geschichten der vier weiblichen Hauptfiguren spielt, ist eine alles Bewegende und Verändernde. Eigentlich hatten die Frauen und ihre Familienmitglieder nach dem herbeigesehnten Ende des ersten Weltkrieges die Hoffnung, dass nun endlich ein geordnetes Leben beginnen könnte. Sie hatten so viel vor. Denn Frauen bot die junge Republik scheinbar viele neue Chancen. Nicht nur die Möglichkeit einen Beruf zu ergreifen, sondern auch in Bezug auf ihr Liebesleben sich freier zu entfalten. Henny will wie ihre Freundin Käthe Hebamme werden. Lina lässt sich zur Reformpädagogin ausbilden und ihre Freundin Louise sieht sich als Künstlerin. Ob nun aus einem Barmbeker Arbeiterhaushalt oder aus einem der feinen Villenviertel, alle träumen von den neuen Möglichkeiten der Selbstentfaltung. Doch schon droht die Weimarer Republik unter der Last ihrer wirtschaftlichen Probleme zu zerbrechen. Die politischen Strömungen fangen an, sich zu bekämpfen, bis ein Mann namens Hitler an die Macht kommt und Deutschland in einen neuen Weltkrieg treibt. So schnurren die erwünschten Freiheiten auf den täglichen Kampf ums Überleben zusammen.
Wie sich nun diese Frauen, ihre Mütter, Väter, Geschwister und Partner:innen durch dieses Wirrwarr der Zeit lavieren, ist ebenso vereinnahmend wie berührend. Regisseur Gil Mehmert verlangt in seiner Inszenierung des ersten Bandes von Carmen Korns Romantrilogie „Töchter einer neuen Zeit“ durch den rasanten Szenenwechsel mit dem großen Personal durchaus ein hohes Level an Aufmerksamkeit; nicht nur von seinem Ensemble, sondern auch von den Zuschauenden. Ein Stück, das quasi aus einer Aneinanderreihung von Cliffhanger besteht, erfordert eine gewisse Anstrengungsbereitschaft, die die Unterbrechungen des Erzählflusses im Kopf wieder verknüpft. Dennoch verfolgt man dem Geschehen fasziniert, denn die sich ergebenden, persönlichen Geschichten der Frauen erlauben das direkte Einfühlen in diese Zeit. Gerade in Zeiten, in denen wieder von Kriegstüchtigkeit die Rede ist, lässt einen das Geschehen auf der Bühne nicht kalt. Ganz im Gegenteil, es führt vor Augen, wie Hetze, politische Spaltung, Propaganda und Kriegstreiberei sich bis auf die allerpersönlichste Ebene auswirkt. Nie wieder Krieg, sagt beschwörend eine der Frauen ganz am Schluss. Sie weiß, wovon sie redet.
Also, hingehen und sich einfangen lassen von einem Stück Hamburger Zeitgeschichte, das einem sehr nahekommt.
Birgit Schmalmack vom 6.5.25
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