Asche, Thalia

Asche, Thalia
Foto: Armin Smailovic
Letzte Generation? Nächste Generation!
Die Erde dreht sich. Eine platte Rasenscheibe. Auf ihr vier Gaukler (Franziska Hartmann, Björn Meyer, Barbara Nüsse und Jirka Zett), vier Erdlinge der Endzeit, vier Wanderer? Alles scheint dem Ende zuzugehen. Asche fällt vom Himmel. Das Irdische ist vergänglich. Nicht nur, dass der Mensch alles dafür getan hat, die Natur zu zerstören, nein, auch er selbst ist stets mit seinem eigenen Verschwinden konfrontiert. Auch von einem Augenblick auf den anderen. Elfriede Jelinek hat sich in ihrem Text „Asche“ mit dem Tod ihres Lebensgefährten auseinandergesetzt. Das führt sie in ihrer typischen Schreibweise vom kleinsten Detail bis zu den großen Fragen und wieder zurück. Regisseurin Jette Steckel hat jetzt zum ersten Mal mit der Inszenierung einer ihrer Texte gewidmet. Sie bleibt mit dem Text aber nicht beim Tod und Vergehen stehen, sondern stellt ihn in einen Kreislauf des Lebens und Sterbens. Dafür hat ihr Florian Lösche eine grüne Drehbühne in die Mitte des Theaterraums in der Gaußstraße gesetzt, um den die Zuschauenden auf vier Tribünen sitzen. Nebel umwabert die Bühne, sphärische Musik erklingt, während die vier Schauspieler:innen auf dem Drehteller im Kreis schreiten. Und sich über die Vergänglichkeit, die Verantwortlichkeit und die Sinnlosigkeit Gedanken machen. Diese Vier verbreiten eine hoffnungslose Stimmung des Endzeitlichen, zu der zunächst nur ihre Gauklerkostüme einen Kontrast setzen. Mittelalter trifft hier auf Anthropozän. Um dieser Hoffnungslosigkeit etwas entgegen zu setzen, holt Steckel Kinder auf die Bühne. Quicklebendig springen die Mitglieder des Kinderzirkus Zartinka auf den Drehteller und zeigen ihr Können. Auch sie Gaukler, doch das Gegenteil von einem Körper, der immer mehr seinen Dienst verweigert. Sie haben jedem Muskel ihres Körpers unter Kontrolle. Sie stehen für den Kreislauf des Lebens, der sich immer weiterdreht.
Ist auch der Mensch im Gegensatz zur Natur, wie Jelinek behauptet, unfähig zur Transformation, so ist es doch die nächste Generation. Vielleicht? In dieser Hoffnung zeigt sich Steckels Ansatz bei „Asche“. Die Energie mag bei dem Alten schwinden, doch bei den Jungen ist sie ungebrochen. Doch ganz abgesehen davon gelingen Steckel mit den jungen Arsti:nnen ganz wunderschöne Bilder, die zeitweise den Text zur Nebensache werden lassen. Ob man dann die mäandernden Sätze von Jelinek in Gänze versteht, wird zweitrangig, weil man so fasziniert ist von den schönen Bildern, die hier entstehen. Ob nun die Kinder an dem von der Decke baumelnden Riesenkreuz ihre Künste zeigen, ob sie Spagat im Würfelkantenmodell vollführen oder auf einem Riesenball balancieren, alles ergibt zusammen mit der Live-Musik von Matthias Jakisic, ein Gesamtkunstwerk, dem man sich gerne hingibt und von ihm berauschen lässt. Dabei kann man auch die Frage, ob alle Bestandteile zum besseren Verständnis des Textes beitragen, getrost beiseite schieben. Zu beeindruckend ist der Gesamtsog. Nimmt Steckel den Text auch anders als Stemann, der ansonsten am Thalia für die Inszenierung von Jelinek Texten zuständig war, vorgeblich ernst und unironisch, so setzt sie ihm doch einen eigenen Entwurf entgegen und geht nicht weniger spielerisch mit ihm um.
Birgit Schmalmack vom 12.6.25
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