hamburgtheater

..... Kritiken für Hamburg seit 2000

Die Möwe, Körber

Die Möwe, Körber

© Jan Schnase & Cora Geßmann

Tod dem Theater

Um nichts weniger als eine Neuerfindung der Theaterkunst geht es. Das ist der Selbstanspruch, den der junge Kostja mit sich herumträgt. Und wollen das nicht genau auch diejenigen, die jetzt gerade an den Regie- und Schauspielschulen des Landes ausgebildet werden? Sind sie nicht gerade dafür auserkoren und angehalten, alles in Frage zu stellen, etwas ganz Neues auf die Bühne zu bringen und eine ganz eigene Handschrift zu erfinden? Mehr Druck geht wohl kaum. So nimmt sich Jungregisseur Alex Peil von der Ernst Busch Hochschule das Stück „Die Möwe“ vor und will an ihm durchexerzieren, welche innovative Formen des Theaters möglich sind.
Kostja ist quasi in den Kulissen des Theaters aufgewachsen; seine Mutter ist eine berühmte Schauspielerin. Es reicht ihm nicht, in ihre Fußstapfen zu treten, er will das Theater komplett verändern. So betritt er zu Beginn unsicher und stolz zugleich in den verbrannten Wald aus schwarzverkohlen Baumstämmen auf dem Ascheboden (Bühne: Jan Schnase), der noch auf die Rückkehr des frischen Grüns wartet. Leider heißt es für seine Schauspieler-Truppe auch erstmal warten, denn Kostjas Mutter (Zalina Sanchez), ganz Diva, hat es nicht für notwendig befunden, pünktlich zu kommen.

Zeit für einen Einblick hinter die Kulissen. Die Mitwirkenden (Sean Douglas, Johanna Martini, Valon Krasniqi, Wael Kreiker) scheinen noch mitten in den Proben. In jeder der vier Szenen probieren sie eine neue Herangehensweise aus. Ob sie nun locker über die neusten Stars der heutigen Berliner Theaterszene diskutieren, ob sie Regietheater-like mit von der Decke schwebender Möwe im goldenen Käfig agieren, ob sie mythisches Bewegungstheater mit viel Rauch inszenieren, ob sie ein Live-Video mit unterirdischen Kamerafahrten drehen oder den Schluss als ganz naturalistisches Kammerspiel der desillusionierenden Alltagserfahrungen geben. Peils Cast erfüllt seine eigene Forderung nach größtmöglicher Authentizität, mit der es ihnen spielend gelingt, die Identitätsprobleme in Künstlerkreisen deutlich werden lassen. Kann die Selbstverwirklichung schon in Durchschnittsbiographien für den ein oder anderen Konflikt sorgen, so führt sie bei diesen exzentrischen Persönlichkeiten, die in einem Fort um ihr Ego zu kreisen gewohnt sind, zu exzessiven Krisen. Weil der Schauspieler-Sohn und Möchtegern–Schriftsteller Kostja von seiner berühmten Mama nicht anerkannt wird und somit auch seine Angebetete Nina nicht im gewünschten Maße beeindrucken kann, greift er zum Gewehr. Doch nicht einmal hier ist ihm Erfolg beschieden.

Ohne dass Peil das Stück in seiner Gänze nachspielen muss, kommt er seinem Inhalt sehr nahe, denn es scheint ganz aus der Lebenswirklichkeit seines Teams (und des Publikums beim Körber Junge Regie Festival) gegriffen zu sein. So flogen am Schluss die Rosen in großen Mengen auf die Bühne.

Birgit Schmalmack vom 2.6.25

hamburgtheater - Kritiken für Hamburg seit 2000