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Ich weiß nicht, was ein Ort ist, ich kenne nur sei

Die Welt hat einen Knacks

Zum Schluss weiß man nicht mehr, waren das jetzt neunzig Minuten oder vierundzwanzig Stunden? Das hat man mit den drei Spieler:innen auf der Bühne gemeinsam. Haben sie jetzt sechs Stunden Sommernachtstraum hinter sich oder wie sie am Ende behaupten doch eher 24 Stunden? Oder sind sie vielleicht doch pünktlich zur letzten Szene auf die Bühne gekommen, wie sich eine von ihnen fragt. Auf jeden Fall stolpern sie in ihren historischen Kostümen vor den noch geschlossenen Vorhang und versuchen sich zu erinnern. Natürlich verschwimmt alles. Das Große mit dem Kleinen. Das Unwichtige mit dem Tiefgründigen. Das Unsinnige mit dem Philosophischen.

Irgendwann geht dann der Vorhang zur Seite und eine Wasserfallkulisse wird sichtbar. Die aber gleich wieder zu Boden rauscht. Das war es dann schon wieder mit der Großartigkeit. Doch die Schauspielerinnen schauen erwartungsvoll in den Bühnenhimmel. Und da mischt sich Hollywood mit ein: Eine riesige King-Kong-Hand senkt sich bis fast auf den Boden. Kathrin Angerer, Rosa Tietjen und Martin Wuttke nutzen sie als Sofaersatz, kuscheln sich in die gut gepolsterte Lederhand. Im späteren Verlauf werden sie jede für sich versuchen, ihr persönliches Verhältnis zu dieser Affenhand zu finden. Angerer flirtet mit King-Kong-Versatzstück ganz nach Hollywood-Manier, Tietjen verhakt sich akrobatisch zwischen seinen riesigen Fingern und Wuttke sucht auf ihr nach einer entspannenden Schlafposition. Er findet sie schließlich zwischen Daumen und Zeigefinger in flacher Streckung.

Es geht um alles und nichts. Das ist das Besondere an Pollesch-Abenden. Beim Zuschauen hat man ständig das Gefühl gleich einen Faden zur Entschlüsselung eines großen Geheimnisses des Lebens zu erhaschen, doch dann flutscht er einem schon wieder aus den Händen. Pollesch-Sätze klingen stets nach großer Philosophie und münden oft in großen Unsinn. Darin sind sie zutiefst menschlich. Denn hier kommen einfach nur ein paar Menschen zusammen und reden. Sie streuen Schnipsel aus gerade gelesenen Büchern ein und verwursten sie mit banalen Alltagsgedanken. Reden zuerst über Adorno und Harraway und dann über den Inhalt von Kofferräumen ihres Autos. Bei Pollesch sind die Menschen nicht in der Lage, tiefe Gedanken bis zum Ende zu verfolgen. Und damit bildet er die Realität menschlicher Kommunikation aufs Beste ab.

Denn die Menschen haben einen Knacks. Der ist zwar nur oberflächlich. Nicht zu sehen, kaum zu erahnen, aber doch vorhanden. "Die Körper sind immer noch in Ordnung: bis auf den Knacks," sagt Wuttke. So spulen die drei auf der Bühne immer weiter ihre mäandernden Gedankenspiralen ab, bis sie an den Knacks stoßen, der zur Sollbruchstelle wird. So ist es nicht verwunderlich, dass auch die Welt einen Knacks hat. Sie sei sehr empfindlich, alles bitte nicht zu laut klatschen, fordert Angerer die Zuschauer:innen kurz vor Ende auf. Natürlich halten sie sich nicht daran. Am Schluss jubeln sie im voll besetzten Schauspielhaus beim Gastspiel der Volksbühne im Rahmen des Hamburger Theaterfestivals. Zahlreich sind die Pollesch-Fans unter ihnen vertreten. Denn es gilt nach seinem plötzlichen Tod im letzten Jahr die letzten Gelegenheiten eines Pollesch-Abends nicht zu verpassen. Er hat verfügt, dass seine Stücke nur unter seiner eigenen Regie aufgeführt werden dürfen.

Birgit Schmalmack vom 15.5.25

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