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Ein Ehepaar erzählt einen Witz, Kellertheater

Das Kellertheater liest

Kellertheater Hamburg

Wo kommen die Löcher im Käse her?

Der promovierte Jurist Kurt Tucholsky schrieb unter vielen Namen. Einer war Peter Panter. Den nutzte er stets, wenn er als Satiriker unterwegs war. Diese Seite des deutsch-jüdischen Schriftstellers beleuchtet das Kellertheater in seiner neuen Reihe: „Das Kellertheater liest.“

Dazu versammelt es sieben Lesende auf der Bühne. Sie sitzen in einer lockeren Reihe auf schlichten Stühlen und tragen mal alleine, mal zu zweit und mal in der Gruppe einige der satirischen Erzählungen Tucholskys vor. Dieser behauptete von sich, ein gekränkter Idealist zu sein, der mit seinen Texten gegen die Mauern der Realität anzurennen versuche. Satire sei von Natur aus ungerecht, boshaft, aber ehrlich. So schickt er sich selbst zu einem Interview mit einem Meister, der schon Karriere gemacht hat und jetzt gerne jungen Kollegen wie Peter Panter Ratschläge erteilt. Erfolg habe nur derjenige, der drei Dinge beherrsche: Schweigen, Kompromisse eingehen und sich beugen. Woraufhin Peter Panter völlig entrüstet wieder abzieht. In einem weiteren Text macht er sich über Modeworte lustig und stellt selbstironisch klar, dass die zurzeit grassierende Formulierung „100-prozentig“ zu 101 % eine eindeutige Sprachdummheit sei. Bei der Beobachtung eines Liebespaares im Großstadtgewimmel erkennt der Frauenliebhaber Tucholsky das nahende Ende der Beziehung sofort. „Zusammen komme man stets nur für ein paar Sekunden“, stellt er fest.

Ein Höhepunkt des Leseabends ist ohne Zweifel die titelgebende Geschichte: „Ein Ehepaar erzählt einen Witz“, in der ein Dritter miterlebt, wie sich die beiden Ehepartner so lange bei einem Witz immer wieder ins Wort fallen, bis sie kurz vor der Scheidung stehen. Ähnliche Abgründe offenbaren sich bei einem Familientreffen, als der 11-jährige Sohn die Frage zu stellen wagt: „Wo kommen die Löcher im Käse her?“ Um ihre eigene Unwissenheit zu verbergen, unterstellen sich die Erwachsenen gegenseitig so viele Gemeinheiten, bis sich die Familienfeier zum Schluss in Wut, Entrüstung, Beleidigungen Streit und Türenknallen auflöst.

Doch Tucholsky spießte nicht nur gekonnt die Unzulänglichkeiten der menschlichen Natur im Alltäglichen, sondern auch die Fehlentwicklungen der Weimarer Republik und der aufkommende Nazi-Herrschaft im Politisch-Gesellschaftlichen auf. Zum Schluss stellen sich alle Lesenden an der Rampe auf und tragen das Gedicht „Deutschland erwache“ vor. „Deutschland hörst du das nicht, fühlst du das nicht?... Wir sehen. Wir hören. Wir fühlen den kommenden Krach. Und wenn Deutschland schläft. Wir sind wach!“

Tucholsky, der sich den Mund nicht verbieten lassen will, muss nach Schweden emigrieren und nimmt sich dort, seiner Sprache und Leserschaft beraubt, am 21.12.1935 das Leben. Schon zu Lebzeiten hatte er in einem kurzen Sketch einen Nachruf auf sich selbst verfasst. Er besteht nur aus einem Wort: „Ach:“

Einen unterhaltsamer wie informativer Abend haben Anne Herrmann-Haase, Hans-Gerd Heidel, Klaas Lange, Barbara Lübkert, Erik Meek, Tilman Lünenbürger und Heidi Zeuner hier zusammen auf die Bühne gebracht. Besonderen Schwung erhält er, wenn die Lesenden mit verteilten Rollen zu Spielenden der Szenen werden. Dann fangen die glänzend formulierten Texte des Autors Tucholsky sogar an zu funkeln.

Birgit Schmalmack vom 15.12.25



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