La voix de Carmen, HfMT
La Voix de Carmen, HfMT
© Jo Speh
Freiheit nur im Tod
Welch ein Kontrast: Auf der einen Seite die junge Carmen. Sie knickt ein, fällt immer wieder zu Boden und versucht sich aufzurappeln. Der hochdekorierte Militärangehörige greift sie wie eine zu benutzende Puppe und reißt sie herum. Dagegen die reife Carmen: Ein Vollblutweib, das selbstbewusst zeigt, was es hat und versucht, es für seine eigenen Zwecke zu benutzen. Sie will sich nie wieder von einem Mann benutzen lassen. Stattdessen will sie die Männer ganz nach ihrem eigenen Willen einsetzen. Ihre Freiheit ist ihr das Wichtigste. Doch dann begegnet sie dem Sohn des Mannes, der sie in jungen Jahren missbraucht hatte. Don Jose heißt er. Auch er ein Soldat. Bald beginnt ein erotisch aufgeladenes Spiel zwischen den Beiden.
Die Szenerie könnte jedoch kaum weniger einladend sein: Zwischen verrosteten Metallwänden und hoch aufragenden Stacheldrahtzäunen finden diese Begegnungen statt. Immer wieder gefällt es Carmen die Eifersucht Don Jose anzustacheln. Da kommt ihr der Auftritt von Escamillo mit seiner Partycrowd gerade recht. Alle zusammen stolpern zugedröhnt und doch aufgepusht durch die Clubnacht. Soll Don Jose zu seiner Verlobten zurück oder für Carmen alles aufgeben? Als er sich endlich zu letzterem durchgerungen hat, weiß Carmen, dass sie eigentlich nur eines interessiert: ihre Freiheit. Selbst wenn diese nur im Tod zu finden ist.
Jungregisseurin Huijoon Ahn hat die Oper Carmen von Georges Bizet in ein neues Setting gesetzt, um dieser Frau eine eigene Stimme zu geben. Sie blickt hinter die Geschichte der vermeintlichen Femme fatale. Denn obwohl Carmen stets mit selbstbewusster Stärke und Durchsetzungskraft auftritt, findet sie im Leben keine Selbstbestimmung, die wirkliche Freiheit kann sie nur im Tod erreichen. Ahn zeigt mit ihrer Inszenierung, wie Gewalt jede Beziehungs- und Liebesfähigkeit zersetzt.
Das gelingt ihr mit einer klug reduzierten Strichfassung der ursprünglichen Oper, die vom Komponisten Kyungjin Lim um Teile mit atmosphärischen Klangarrangements ergänzt wurde. Die Verlagerung der Oper in ein unwirtliches, zeitloses Niemandsland, in dem die Verwüstung sichtbar ist, erlaubt eine Vielzahl an Assoziationen. Ein Kriegslager, ein verlassenes Gewerbegebiet, ein Partykeller, eine Brache…. Die sprechenden Choreographien des Tanzensembles in ihren düsteren Partyoutfits versetzen in einen Großstadtclub des dystopischen Art.
Kristine Matvejeva singt und spielt die Hauptrolle gekonnt an der Grenze zwischen erlittener Verletzung, unerfüllter Sehnsucht und dickem Schutzpanzer. Ihr Gegenüber wird von Eunchan Lee zunächst als pflichtbewusst braver, dann unbändig verliebter und zuletzt gekränkt zurückgewiesener Mann gespielt. In der Szene, in der sie beide versuchen, ihrer Liebe Ausdruck zu verleihen, stehen sie mit dem größtmöglichen Abstand zueinander. Beide zeigen sich gegenseitig nur ihre Fassadenseite, unfähig sich zu öffnen. Auf der einen Seite ein Soldat, der keine Schwäche zeigen darf, und auf der anderen Seite eine Frau, die sich nie wieder verletzen lassen will. Eine spannende Perspektive auf die Figur der Carmen, die man so noch nicht gesehen hat.
Birgit Schmalmack vom 5.12.25
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