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Das Leben ist ein Schattenbild

Searching for William © Lutz Michen

Das Leben ist ein Schattenbild
"Das Leben ist eben eigentlich nur ein Schattenspiel, erzählt von einem Dummkopf auf der Bühne." Das könnte ein Motto für Searching for William sein. Zum Schluss stellen sich alle Mitwirkenden hinter die Projektionswand. Ihre Figuren werfen ihre Schatten auf die Leinwand. Dann wechselt der Lichteinfall und statt ihrer stehen ihre Filmabziehbilder genau an derselben Stelle.
Sein durchaus ernstgemeintes Narrenspiel hat Christian Friedel mit seiner Band Woods of Birnam da schon für über zweieinhalb Stunden auf der Bühne getrieben. Sie spüren mit ihrer Show dem großen Theatermagier William Shakespeare nach. Doch nicht nur auf der Textebene. Nein, sie setzen voll auf Emotionen und zwar mit Hilfe von bombastischen Vertonungen unter Zuhilfenahme von Licht, Nebel und Video-Projektionen. Große Effekte scheuen sie nicht, im Gegenteil. In dieser Weise hat es noch keiner gewagt, sich dem Vielschreiber, Theatermacher und Unterhalter Shakespeare zu nähern. Die Texte sind zwar von Shakespeare, oft auch im Original. Doch wenn nicht jedes Wort verstanden wird, tut das keinen Abbruch, denn die Dramatik und Poetik des Dichters soll hier eher auf der emotionalen Ebene verstanden werden.
Friedel schlüpft in die verschiedenen Rollen, streift sich den Ledermantel für Macbeth, den Reifrock für die Frauenrollen, den Glitzerumhang für die Hexen und den schwarzen Mantel für Hamlet über. Er springt auf der Bühne hin und her, rast die rollbaren Treppen rauf und wieder herunter, bedient nebenbei seine Soundmaschine, setzt sich schnell ans Keyboard und schafft es dennoch, sich dabei kein einziges Mal in seinem Mikrophonkabel zu verheddern. Christian Friedel nimmt die Figuren in den Dramen ganz ernst: Da fragt sich ein Hamlet nach dem Sein oder Nichtsein, da schwankt ein Macbeth zwischen Übermut, Wahn und Todesangst, da verzehrt sich eine Ophelia nach ihrem unerreichbaren Geliebten. Da Shakespeare selbst keinem Gefühl, sei es noch so kitschig, noch so komisch, noch so blutrünstig, noch so machgierig oder noch so dramatisch aus dem Weg ging, beschreitet Friedel hier nur konsequent dessen Weg mit neuen Mitteln weiter. Mit ein wenig mehr elektronischen Effekten, mit ein wenig mehr Bass und Loopstations, aber ganz in dessen Sinne. Dieser Abend wird kaum jemanden kalt lassen, er bescherte viele Gänsehautmomente, wenn man sich ihnen hinzugeben vermochte. Denn Friedel ist ein Ausnahmetalent. Hier steht ein Vollblutschauspieler, -sänger und -musiker auf der Bühne und stellt seine umfänglichen Talente voll in den Dienst von Shakespeare und seiner Dichtung. Das ist Kunst, die sich nicht scheut zu unterhalten.
Standing Ovations am Schluss des Gastspiels im Rahmen des Hamburger Theaterfestivals auf Kampnagel.
Birgit Schmalnmack vom 12.6.23