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Auf der Suche nach dem eigenen Weg



Auf der weißen Bühne, die aus drei sich nach hinten verjüngenden Ebenen gestaffelt ist, verschränken sich die Geschichten von zwei Paaren. Wie sie in Beziehung zueinander stehen, ist zu Beginn noch unklar. Doch eines haben sie gemeinsam: Beide sehen sich in einer jüdischen Kulturtradition. Das eine Paar auf konservativ orthodoxe und das andre auf liberal moderne Art. Nie begegnen sie sich direkt und dennoch wird im Laufe des Abends immer deutlicher, wie sehr sie miteinander verschränkt sind.
Da ist zum einen die arrangierte Ehe von Schmuli (Julian M. Boine) und Esther (Ines Nieri), die in ganz vorgezeichneten Bahnen verlaufen soll. Als Esther kleine Freiheiten für sich in Anspruch nehmen will, wird ihr das Recht auf ihre Kinder genommen. Da entscheidet sie sich für den Ausbruch aus der Familie und der religiösen Gemeinschaft. Das andere Paar: Sophie (Jane Chirwa) und der Erfolgsautor Abe (Gideon Maoz). Ihre eigene Schriftstellerinnenkarriere leidet unter der Doppelbelastung als Mutter und Autorin. Als Sophie dahinterkommt, dass ihre Liebe und ihr Verständnis für Abe nicht mit gleicher Münze zurückgezahlt wird, zieht sie wie Esther den Schlussstrich.
Erst im Laufe des Abends wird klar, dass Abe der Sohn von Esther ist. Ihre Traurigkeit legte vielleicht auch den unbewussten Grundstock für seine uneingestandenen Sehnsüchte, die er in die Anhimmelung eines Hollywoodstars (Elzemarieke de Vos ) kanalisiert, mit der er sich einen erotischen Mailwechsel leistet, hinter dem Rücken seiner Frau. Jedenfalls denkt er das.
Das intelligente Stück spürt den unterschiedlichen Lebenszielen, -vorstellungen und -wünschen der vier Personen nach. Ihre Unfähigkeit, miteinander zu kommunizieren und Wege zu finden, zu einem tiefen Einverständnis zu kommen, führt zu einem unfreiwilligen Ende ihrer Beziehungen. Als Zuschauer:in sieht man gespannt diesen vier Personen zu, die alle guten Willens sind und dennoch keine befriedigende Lösung finden können. Sie sind gefangen in ihren Vorstellungen und finden keinen Weg der Verständigung. Sie trennen sich von ihrem Partner und wissen doch schon in diesem Moment, dass sie diese Entscheidung kein bisschen näher an die Erfülllungen ihrer Wünsche bringen wird.
Ein ehrliches, kluges Stück von Anna Ziegler, das in seiner konzentrierten schnörkellosen Umsetzung unter der Regie von Elias Perrig den Blick auf das Wesentliche und Universelle lenkt: Die Zufriedenheit beginnt mit ehrlicher Kommunikation, auch mit sich selbst.
Dieses Stück aus dem Hamburger Ernst Deutsch Theater eröffnete verdient die diesjährigen Privattheatertage.
Birgit Schmalmack vom 11.7.23