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Generationenkonflikte

Frühlings Erwachen, EDT (c) Oliver Fantitsch



Die Bühnenausstattung zeigt es schon: Sie könnte die Brachfläche einer Stadt, die mit ein paar improvisierten Hütten ausgestattet ist, darstellen. Hier treffen sich die Jugendlichen des Viertels und versuchen mit selbst gestaltetem Partyfeeling ihre Jugend zu feiern. Sie sind unter sich, sie haben Spaß und genießen ihre Freiheit. Und sie stammen eindeutig aus der Gegenwart. Dann finden sie eines dieser gelben Reclamhefte und beginnen zu lesen. Zuerst mit abfälligen Lachen, dann mit Verwunderung und schließlich mit ernsthaftem Interesse.
Es ist „Frühlings Erwachen“, in das sie eintauchen. Frank Wedekind beschreibt in seinem Stück eine Jugend in den 20ziger Jahren mit all ihrer Verklemmtheit, klaren Rollenzuschreibung und Leistungsdruck. Auch Moritz (Maximilian Kurth), Wendla (Linda Stockfleth), Melchior (Felix Oitzinger) und die anderen würden so gerne ihre Energie, Lebensfreude und Neugier ausleben, doch die damalige Gesellschaft mit ihren fest vorgeschriebenen Regeln verbietet es ihnen. Denn die Erprobung der Freiheit kann hier tödliche Folgen haben.
Das junge Ensemble, mit dem Anton Pleva am Ernst-Deutsch-Theater dieses Stück inszeniert hat, ist in einer anderen Lebenswelt groß geworden. Wenn es zwischendurch immer wieder aus dem früheren Regelwerk ausbricht und in ein heutiges ungezwungenes Partytanzen umswitcht, wird der Kontrast umso deutlicher. Doch Pleva bleibt beileibe nicht in der Glorifizierung der Errungenschaft der Gegenwart stecken. Denn auch das Heute hat Zuschreibungen und Zwänge. Immer noch schränkt die ältere Generation die Lebensbedingungen der jungen ein. Pleva lässt Texte von heute mit einfließen, in denen sich die Jugendlichen mit Fragen der Klimakatastrophe, mit Ungerechtigkeiten und mit Genderzuschreibungen beschäftigen.
So schafft es Pleva mit dem tollen Ensemble und einer riesigen Menge an überbordender Experimentierlust eine intensive Collage über Lebensfragen, die nicht nur Jugendliche beschäftigen sollten, aus Wedekinds Vorlage zu gestalten. Für das Publikum des Ernst Deutsch Theaters war diese Herangehensweise mit ihrem Spaß auch am Unfertigen, am Ausprobieren und am Improvisieren allerdings eine Herausforderung, die manche überforderte. Dies ist eine Inszenierung, der man viele junge Leute im Publikum des Ernst Deutsch Theaters wünschen würde.
Birgit Schmalmack vom 24.6.23