Faust I + II

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Faust

Faust I/II

Die Erwartungen sind groß. Die Massen sind ins Thalia geströmt und harren nun der Ereignisse auf der Bühne, die der Titel „Faust I/II“ verspricht. Auch der Dichter selbst hat Erwartungen. Er hofft auf Ruhm und Erfolg. Das drückt er im „Vorspiel vor dem Theater“, für das sich Sebastian Rudolph viel Zeit auf der leeren Bühne nimmt, deutlich aus. Eine gute Chance für Regisseur Nicolas Stemann sich ein wenig über sich, das Theater im Allgemeinen und seine Inszenierung im Besonderen lustig zu machen. Von ihr wird er während des ersten Teiles von Faust weniger oft als sonst in seiner anderen Inszenierungen Gebrauch machen wird.
Dann hat Rudolph alle Vorbemerkungen gemacht und er als Faust stürzt in seine fulminante Sinn- und Erkenntniskrise. Die Magie soll ihm Abhilfe schaffen. Faust findet sie im Thalia in sich selbst. Denn bei Stemann ist Faust zugleich Mephisto und Gretchen, Mephisto ist auch Gretchen und Faust und Gretchen ist ebenfalls Faust und Mephisto. Regisseur Stemann zeigt die Anteile des Vernünftigen, des Bösen und des Tugendsamen in jedem dieser Charaktere. So spielt Sebastian Rudolph den Mephisto gleich selbst mit, bevor er sich nach einer Stunde verdoppelt und er in Philipp Hochmair einen weiteren leibhaftigen Verführer vor sich hat. Der wiederum spielt in seinen Szenen den Gelehrten gleich selbst.
Richtig spannend wird es aber erst, als auch Patryzia Ziolkowska die Bühne betritt. Das liegt nicht nur daran, dass nun mit der Rolle des Gretchen noch mehr des angekündigten Schwungs in die Handlung kommt, sondern weil Ziolkowskas es wunderbar versteht nicht nur durch ihre wandlungsfähige Stimme sondern auch durch ihren Körper die Personen lebendig werden zu lassen.
In Faust I folgte Stemann einer strengen, konsequent umgesetzten Idee. So erfüllt er im Teil nach einem etwas langatmigen Start die von Goethe gesteckten Erwartungen: Er präsentiert etwas wohl Bekanntes in neuem Gewand und mit frischen Erkenntnissen.
Faust II geht entsprechend des fragmentierten Ausgangsmaterials wesentlich spielerischer mit den Textvorlagen um. So tritt hier Barbara Nüsse als Wolfgang Goethe himself in Abendkleid auf und preist sich selbst als das Genie, dem gebührende Aufmerksamkeit entsprechend der beachtlichen Länge der Aufführung geschenkt werden müsse. Sie verrät im Stile eines Soapvorspanns, was bisher geschah: Der Denker Faust bemüht sich, ein Arschloch zu werden. Nachbarstochter verführt, Orgien veranstaltet, Mutter ermordet, Bruder erstochen. Den Fortschritt des langen Abends dokumentiert sie mit weißen Strichen an den Bühnensäulen.
Ein langer Tisch mit allen Schauspielerkollegen markiert die Probensituation. Zeichentisch, Beamer, Musiker, Tontechniker, Tänzer und ein Männerchor sind stets mit auf der Bühne und stehen zum Einsatz bereit. So spielt sich Stemann über viereinhalb Stunden mit dem mit angereicherten Gästen schon aus Faust I bekannten Personal durch den Originaltext von Goethe Faust II. Er spart nicht mit Einfällen: Philipp Hochmair ist als Mephisto mit LED-Blinkhörnchen auf dem Kopf zu erkennen. Gustav Gründgens tritt als Helmipuppe auf. Die postdramatische Verdienste Goethes schildern dankenswerterweise gleich mehrere Professoren auf der Rückleinwand. Dr. Franz aus Weimar und Dr. Schrenk aus Weimar sind mit ihren Vorträgen per Projektion zugeschaltet.
Stemann weiß Goethes Weitsichtigkeit angesichts der Finanzkrise zu schätzen. In Faust II erkannte dieser, dass Geld seinen Wert nur durch den unbedingten Glauben an die Geldpapiere erhält. Da helfe nur noch Astrologie oder das Anwerfen der Gelddruckmaschinen, denn:„Ich schaffe, was ihr wollt“. Das war im Saal des Thrones in der Kaiserpfalz so und gilt auch noch auf dem Parkett der heutigen Börsen.
In der Klassischen Walpurgisnacht begegnet Faust dem Weiblichen und dem allzu Menschlichen. Danach trifft er entgegen aller Wahrscheinlichkeit auf die Verführungskünste der schönen Helena (Ziolkowska).
Im brachialen Final Countdown schaukeln alle Beteiligten mit ihren Helmipuppen singend durch den Theatersaal. „Morning has broken“ verkündet derweil Cat Stevens. Und das ganze Publikum schunkelt mit.
Die beiden Teile der Inszenierung verfolgen unterschiedliche Ansätze. Während der erste Teil überzeugen kann, gerät der zweite zu einer unsortierten Ansammlung der Ideen und beeindruckt nicht in gleicher Weise.

Birgit Schmalmack vom 29.12.11

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