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Das Dinner, DT

Das Dinner, DT

Foto: Thomas Aurin

Dekonstruktion einer linken Elite mit den Mitteln

Sehr leicht könnte man sie fast übersehen, die aufrüttelnde Botschaft dieses Stückes im Deutschen Theater, kommt es doch im Stile einer Yasmina Reza-Aufführung daher. Eine Ausgangslage wie bei der an zahlreichen Bühnen des Landes gespielten Autorin: Zwei bildungsbürgerliche Ehepaare treffen sich. Es geht um das Verhalten ihrer Söhne. Nach kurzer Zeit fängt die Firnis ihrer gutbürgerlichen Fassade an zu bröckeln, bis zum Schluss nichts mehr davon übrig sein wird.
Doch die Vorlage des Romans von Hermann Koch "Angerichtet / Het Diner" fügt diesem bewährten Setting noch weitere Umdrehungen hinzu. Zum Einen findet dieses Treffen in der Öffentlichkeit, nämlich in einem Luxusrestaurant statt. So werden die Verwerfungen, die im Laufe des Abends verhandelt werden, kontrastiert mit den exaltierten Beschreibungen des nächsten Menüganges, auf die, je länger die Aussprache dauert, jeder Appetit verloren gegangen ist. Dieses überaus kultivierte Ambiente trifft auf die Abgründigkeiten, die sich hinter der Fassade dieser nach außen so wohnsituierten Menschen verstecken. Die Brisanz wird noch dadurch erhöht, dass sich gerade der eine Ehemann Serge (Bernd Moss) als Premierministerkandidat zur Wahl stellt, ausgerechnet um ein Bollwerk des Anstands gegen den Konkurrenten aus dem rechtsnationalen Lager zu bilden.
Was wird nun an dem von Wurzelwerk gehaltenen Designer-Glastisch allmählich ausgepackt? Die Söhne der beiden Ehepaare haben eine Obdachlose, die ihr Schlafquartier in einer Geldautomatenkabine aufgeschlagen hatte, mit einem Benzinkanister beworfen, der in Flammen aufgegangen ist und sie getötet hat. Während Claire (Maren Eggert), ganz liebevolle, verständnisvolle Mutter, ihrem Sohn Michelle auf keinen Fall Schuldgefühle einreden möchte, spricht Serge von Mord. Die jeweiligen Ehegatten der Beiden haben eine andere Rolle zu spielen. Claires Ehemann Paul (Ulrich Matthes) ist zunächst eindeutig der Sympathieträger des Abends. Die Liebe zwischen Claire und ihm scheint von wahrem Glück geprägt. Jedenfalls betont er das immer wieder. Sie demonstrieren eine Innigkeit, die schon etliche Bewährungsproben überstanden hat. So musste Paul seinen Beruf als Lehrer aufgeben, da er, anscheinend krankheitsbedingt, immer wieder von Aggressionsattacken heimgesucht wurde. Babettte (Wiebke Mollenhauer) dagegen, kommt mit Sonnenbrille über ihren verheulten Augen und mit starrer Mine ins Restaurant. Bis auf hasserfüllte Kommentare zu den Äußerungen ihres Mannes trägt sie wenig zum Tischgespräch bei. Ihre Meinung scheint eh keine Rolle zu spielen.
Die Masken der feinen Gesellschaft herunterzureißen, ist nun wahrlich kein neuer und umwälzender Ansatz. Während bei Reza klar ein Well-Made-Boulevard-Stück das Ziel ist, versucht Regisseur András Dömötöram DT jedoch künstlerischen Anspruch und radikalere Schlussfolgerungen mit unterzumengen. Doch nur weil die Äußerungen von Claire und Paul, die die Schuld klar bei der sich dreist in den Weg legenden Obdachlosen sehen wollen, viel deutlicher das Fehlen jeglicher moralischer Ansprüche zum Ausdruck bringen, muss der Diskurs nicht zwangsläufig tiefgründiger werden. Vielleicht sogar im Gegenteil: Je weniger nachvollziehbar die Argumentation der jeweiligen Elternteile erscheinen, desto weniger muss man sich mit ihnen auseinandersetzen. Weder die scheinbar überaus moralische Haltung von Serge, der mit den Tatsachen an die Öffentlichkeit treten will, überzeugt, noch die überbehütende Hubschrauber-Mutter-Haltung von Claire, die die Opfer-Täter-Umkehr eloquent in ihre alles entschuldigende Verteidigung ihres Sohnes einzubauen weiß.
Jeder ist sich hier selbst der Nächste. Jede ins Feld geführte Moral wird damit überflüssig. Geld und Einfluss erlauben und rechtfertigen diese Haltung. Wenn diese Aussagen etwas weniger offensichtlich, vorhersehbar und effekthascherisch auf die Bühne gebracht worden wären, hätte man eventuell mehr Neues entdecken können. Es standen aber leider auf der Bühne zu viele Menschen, über die man sich allzu leicht erheben konnte. So blieb der Wiedererkennungswert zu gering, als dass ein Weiterdenken über das Gesehene nicht hätte leicht beiseite wischen können.
Birgit Schmalmack vom 22.4.25

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