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Faustus :: 1550 San Remo Drive, Berliner Ensemble

Faustus :: 1550 San Remo Drive, BE

Jörg Brüggemann

Verstrickter Thomas Mann


Ein rosa glänzender Vorhang, davor zwei Ledersessel. Das ist zunächst das schlichte Bühnenbild im Neuen Haus. Auf den Stühlen der Zuschauer:innen liegen dagegen für jeden VR-Brillen. Es entsteht im Folgenden ein Zusammenspiel zwischen digitalem und realem Spiel der drei Schauspieler:innen, die das Performancekollektiv RAUM+ZEIT (Alexandra Althoff, Lothar Kittstein, Bernhard Mikeska) am BE inszeniert hat. Ausgangsmaterial ist das letzte Monumentalwerk von Thomas Mann „Dr. Faustus“, aus dem Kittstein eine neue Textfassung geschrieben hat. Sie versucht die Biographie Manns, die Beziehungen zu seinen Familienmitgliedern, sein literarisches Schaffen, seine verdeckten homosexuellen Wünsche und seine politische Indifferenz ineinander fließen zu lassen. Das ist naturgemäß so vielschichtig, dass eine gewisse Grundlagenkenntnis von Vorteil ist, um alle Andeutungen zu verstehen.

Denn einer chronologischen Erzählung verweigert sich das Kollektiv. So beginnt der Abend mit einem fiktiven Interview des Enkels Frido Mann im BE, bei dem er unvermittelt ins Nachdenken gerät, da alte Wunden wieder aufbrechen. Als die Interviewerin nachbohren will, springt er auf und läuft hinaus. Schon sind wir mitten in einer der Hauptszenen des Buches, die für RAUM+ZEIT den Ausgangspunkt ihrer Nachforschungen bildet. Frido (Martin Rentzsch) war für Thomas Mann die Inspirationsquelle für seine Figur des Nepumuk, der im Buch sterben muss. Wir erleben über die VR-Brillen die Lesung des entscheidenden Kapitels durch Thomas Mann mit. Alle Familienmitglieder (alle dargestellt von Bettina Hoppe) stehen um den Laufstall herum, in dem Frido liegt und zuhören muss, wie er zu Tode kommt. Dieses Erlebnis hätte sein Leben geprägt, so hat er der Interviewerin verraten.

Als Alter Ego hat sich Thomas Mann in Dr. Faustus den Komponisten Adrian Leverkühn geschaffen. Der ist in einer Schaffenskrise, wie Mann beim Schreiben des Buches selbst, und braucht die Dienste eines Teufels. Der erscheint ihm zunächst in Gestalt eines italienischen Strizzis (Jannik Mühlenweg), als er sich in Rom aufhält. Der bietet ihm seine Dienste an, als Zugang "in die Fremden“, wie der Junge es formuliert, bzw. „in das Fremde“, wie Mann ihn korrigiert. Genau zwischen diesen beiden Lesarten changieren alle folgenden Gespräche zwischen den Beiden.

Durch die VR-Brillen, die die Zuschauer:innen sich immer wieder aufsetzen sollen, werden die Perspektiven gewechselt. Sitzen wir zunächst noch auf unseren Plätzen im Rang, so befinden wir uns bald im Körper von Thomas Mann, blicken in die Runde seiner Familienmitglieder, in die Augen seiner Kritiker oder liegen direkt selbst im Laufstall. Zum Schluss sind wir tot. Wir blicken auf die nackten Füße des gerade verstorbenen Manns.

Bis dahin springen die Szenen zwischen Teilen des Buches, der Biografien Thomas und Frido Manns hin und her. Alle drei Schauspieler:innen wechseln beständig ihre Rollen, mal digital, mal live. Die Inszenierung verzichtet auf Stringenz zugunsten vielschichtiger Verweise, die Fährten in viele Richtungen legen. Dabei kommt einem das direkte Spiel auf der Bühne näher als das, das auf den VR-Brillen zu sehen ist. Das lebt von der Möglichkeit der Vervielfachung der Darsteller:innen, was einige Effekte ermöglicht, aber die Identifikation mit den Figuren nicht unbedingt verstärken kann. Insofern gilt für diese Inszenierung, die eine Verschränkung zwischen VR und Live-Spiel versucht: Das direkte Liveerlebnis toppt hier klar die digitalen Mittel.

Birgit Schmalmack vom 15.4.25

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