hamburgtheater

..... Kritiken für Hamburg seit 2000

It’s Britney, Bitch!, BE

It's Britney, Bitch!, BE

© JR Berliner Ensemble

„Ich habe eine Bühne und ein Trauma“


Das klingt nach einem echten Glücksrezept, das die Bühnen-Britney hier von sich gibt. Die Pop-Ikone der späten 1990-er Jahre, die das Leben vieler Jugendlicher prägte, hatte schon als Teenager große Karriere gemacht. Sie performte auf der Bühne ein weibliches Ideal, von dem die Frauen wünschten, es selbst zu erfüllen, und die Männer, so eine Frau zur Freundin zu haben. Ihre Bühnenshows waren ungewöhnlich sexy und freizügig. Unterwarf sie sich damit einem Objektideal oder emanzipierte Sie sich gerade nach eigenen Wünschen davon? Das waren damals noch etwas unübliche Fragen, die sich aber Sina Martens und Lena Brasch in ihrer Arbeit „It’s Britney, bitch!“ stellen- mit einem Blick aus der Gegenwart auf die Vergangenheit. War der vermeintliche Zusammenbruch, der 2007 nach anstrengender Welttournee, Drogenkonsum, Ehekrise und Sorgerechtsstreit folgte, in Wirklichkeit eher ein Aufbegehren? Da rasierte sich Britney öffentlich ihre langen blonden Haare ab und wurde wenig später unter die Vormundschaft ihres Vaters und Managers gestellt. Er übernahm sie ganze 13 Jahre lang , während sie aber weiterhin mit ihrer Musik viel Geld verdiente, das ihr jedoch nicht mehr zur Verfügung stand. Sie blieb mit einem Reha- und ihrem Management-Team in einem Haus eingesperrt. Dieses glitzernde Gefängnis hat das Regieteam nun auf die Bühne gebaut. Nicht im Neuen Haus, wo die Show 2022 ihre Uraufführung hatte, sondern im Großen Haus. Denn sie ist seitdem stetig ausverkauft. Sie trifft einen Publikumsgeschmack. Pop- trifft hier Hochkultur, nein, sie erobert sie sogar.
Doch der Abend ist weniger eine Hommage an Britney Spears als vielmehr ein Diskurs über einen Popstar. All die Lieder, die natürlich auch hier nicht fehlen dürfen, sind auf Moll gedimmt. Das liegt keinesfalls daran, dass Sina Martens sie nicht singen könnte. Ihre Stimme reicht allemal dafür aus, wie sie an wenigen Stellen durchschimmern lässt. Sondern daran, dass es hier um die Verarbeitung eines Traumas auf der Bühne gehen soll. Und eine Aneignung. Denn was Britney selbst über ihre Auftritte, Darstellung und Wahrnehmung gedacht haben mag, bleibt weitgehend im Dunkeln. Vielmehr machen sich andere Leute Gedanken über sie. Texte von Miriam Davoudvandi , Lena Dobelstein, der Regisseurin und Fikri Anıl Altıntaş werden munter gemischt. Feministisch angehauchte kleine Essays über die Sexualisierung der Popkultur, der Vereinnahmung von Frauen auf der Bühne, über fehlende Akzeptanz von weiblichem Drogenkonsum, über kulturelle Aneignung und der Kapitalisierung von Frauenkörpern.
Dürfen Frauen zu Drogen greifen? Sie tun es, dafür gibt es genügend Beispiele. Doch daran zugrunde gehen, ist nicht opportun. Sie sterben besser an unglücklicher Liebe. „I am addicted to you“, singt dazu Britney. Laura Dabelstein erkennt in „Toxic“ den Beweis, dass sie schon lange, bevor das Thema war, unter der toxischen Männlichkeit litt. Und ihr sogar hinterher jagte: „Hit me Baby one more time." An gebrochenem Herzen zu sterben, ist das erlaubte Modell für Frauen, doch es ist passiv, so die Überlegung der Bühnen-Britney.
Ab und zu geht es auch direkt um Britney und ihren Versuch sich von ihrem Vater zu lösen. Dann spricht sie direkt, auch mit Zitaten aus Kafkas „Brief an den Vater“, in einen seitlichen Scheinwerfer und wünscht sich endlich von ihm geliebt zu werden. Überlegt, ob sie deswegen keine Beziehung zu Männern halten kann. Das Trauma des Missbrauchs durch den Vater wird sie ihr Leben lang begleiten. Der Gerichtsprozess, den sie 2021 gewann und damit die Vormundschaft endgültig beendete, sollte der Befreiungsschlag sein, doch gelang er?
Auf der Bühne jedenfalls zertrümmert Sina Martens irgendwann ihr Gefängnis aus Glitzervorhängen und reißt sich ihre blonde Perücke vom Kopf. Hervor kommt eine Glatze. Zum Schluss ist auch die kleine rollbare Bühne abgeräumt. Viel freier Raum für Britney. Ein aufgefächerter Scheinwerfer strahlt ins Publikum. Als Schattenriss ist eine Frauenfigur zu erkennen. Als das Bühnenlicht angeht, sehen wir Martens im engen, roten Latexanzug. Scheinbar gelöst performt sie die Choreographie zu „Oops I Did It Again“ Selbstaneignung? Vereinnahmung? Eine Antwort darauf bleibt der Abend schuldig. Denn es geht ja weniger um die reale Britney als vielmehr um die Britney in uns allen. Wie viel Selbstbestimmung, wie viel Selbstdefinition ist möglich? Wie selbstbewusst darf eine Frau ihre Sexualität darstellen, wie groß ist immer noch die Übergriffigkeit von Männern? Darf frau heute selbst entscheiden, wie viel Bitch sie sein möchte? Handelt es sich also vielmehr um die „kulturelle Aneignung“ einer Popikone? Diese Überlegung gerät schnell in den Hintergrund, denn dieses Hinterfragen geschieht so unterhaltsam und kurzweilig in der perfekten Aufmerksamkeitsspanne von etwas über einer Stunde und mit einer sich verausgabenden Sina Martens, dass das Haus auch weiterhin voll sein wird.
Birgit Schmalmack vom 21.4.25



hamburgtheater - Kritiken für Hamburg seit 2000