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Pop! Andy Warhol&The Velvet Underground, etb

Pop! Andy Warhol & The Velvet Underground, etb

Photo by Stefania Migliorati

Kunstwerke als Lebenskonzept



Andy Warhol steht mit dem Rücken zum Publikum im English Theatre an der Siebdruckmaschine. Was er zu sagen hat, geschieht ohne Augenkontakt. Er bleibt hinter seiner weißblonden Wuschelperücke verborgen. Auch nach diesem Abend wird er ein mystisches Kunstprodukt bleiben, aber nicht vom Kunstmarkt sondern von ihm selbst erschaffen. Da helfen auch die intensiven Tischgespräche der vier Kurator:innen nicht weiter, die eine Museumsausstellung vorbereiten.
Die Leiterin des Museums will etwas Radikales, schließlich ist es ihre letzte Ausstellung, bevor sie sich in den Ruhestand begeben wird. So schwebt ihr etwas Großartiges und dennoch Aufwühlendes vor, das sonst noch kein Museum gezeigt hat. Da ist ihre Assistentin, die die Finanzen (und damit die Sponsoren) im Blick haben muss, nicht immer ganz ihrer Meinung. Ein gänzlich anderes Konzept haben die beiden Gastkurator:innen mitgebracht: Sie wollen nicht die bunten Popartbilder, die Warhol berühmt gemacht haben, in den Mittelpunkt stellen, sondern sein filmisches Schaffen, das ihn später beschäftigte. Und die Entdeckung der Band The Velvet Underground thematisieren, die Warhol für den richtigen Soundtrack zu seinen Filmexperimenten zwischen Pornografie und Undergroundart mit in seine Fabrikhalle holte.
Wie wird Pop zu Kultur? Dieser Frage geht Günther Grosser, der Regisseur und künstlerische Leiter des English Theatres auch im dritten Teils seiner Recherche-Serie nach. Dieses Mal will er mit seinem Team ergründen, wie ein Pop-Künstler mit seinen an Werbegrafiken erinnernden Siebdrucken zu einem der Bestseller des internationalen Kunstmarktes werden konnte. Nicht die Figur des Andy Warhols steht im Mittelpunkt dieses multimedialen Abends, sondern sein künstlerisches Schaffen als Lebenskonzept. Die vier Kurator:innen plus Assistentin (Summer Banks, Priscilla Bergey, Maureen Gleason, Angharad Matthews, Kumar Muniandy) erörtern, wie Warhol es schaffte, eine ganze Umgebung in seiner Factory zu kreieren, um dort dann Kunst zu machen. Und zunehmend mehr innovative Kunstaspekte in sein Werk einfließen zu lassen. Auch wenn er mit diesen nicht erfolgreich wurde. Querfinanzierung durch seine Popart machte es möglich. Die Gastkurator:innen wollen sein experimentelles filmisches Werk in den Mittelpunkt rücken, das naturgemäß wohl kaum jemanden ins Museum locken würde. Wenn selbst die Museumsleiterin schon beim ersten Probegucken sich gähnend in ihren Sessel zurückfallen lässt? Dann doch ein wenig Nachfühlen des Factorygefühls? Mit Musik und Drogen? Die Gastkurator:innen wollen nicht nur eine Live-Band mit in ihr Konzept aufnehmen sondern die richtige Partystimmung auch mit der Ausgabe von Drogen anheizen. Da leuchten nicht nur bei der Museumsleiterin sondern auch bei ihrer Assistentin die Alarmleuchten rot auf.

Drogen werden im English Theatre natürlich auch nicht gereicht. Aber dafür viel Musik. Die Liveband Red Largo interpretiert mit den fünf Darsteller:innen die Musik der Velvet Undergrounds. Dazu laufen auf die umgebenden Wände die ikonischen Bilder Warhols und Kostproben seiner Filme. Am Tisch dagegen geht es theoretisch zu. Dort werden die verschiedenen Konzepte der Ausstellung gegeneinander abgewogen. Bis man endlich zu der gemeinsamen Idee vorstößt: Was könnte Warhols Schaffen mit der Gegenwart verbinden? Klar, die Idee der Kopie. Wird sie nicht in Zeiten der KI immer relevanter werden? Warhol, ein Vorläufer der aktuellen Entwicklung? Sein Erfolg zeigt, wie es trotzdem gehen könnte. Man verkaufe nicht nur das Werk an sich sondern ein komplettes Lebensgefühl um die Kunstprodukte gleich mit. Die Diskurse am Tisch werden geschickt mit viel Musik, Tanz und bunten Bildern aufgepeppt. Da die Schauspieler:innen auch zugleich tolle Sänger:innen sind, ist so insgesamt ein sehenswerter Abend zur Kunstgeschichte entstanden, dessen Fragen auch in der Gegenwart von Interesse sein könnten.
Birgit Schmalmack vom 21.4.25

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