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Second Class Queer, EDT

Second class queer, EDT

Kumar Muniandy

In Krishnas Haut schlüpfen


Zu Beginn steht eine andächtige Verneigung vor dem Altar und ein Tanz. Dazu schnürt der Mann sein Rocktuch etwas höher und spreizt seine Arme und Beine zu anmutigen Gesten. Mit einem kleinen spöttischen Lächeln garniert. Dann streift er sein Hemd über, nimmt auf einem Stuhl Platz. Denn der Gong hat die erste Runde eingeläutet. Für ein Gay Speed Dating in Berlin. Fünf Männer wird Krishna, so der Name des Mannes, nun gegenübersitzen. Doch was die Hoffnung auf nette Begegnungen mit der Entwicklung zu mehr anbetrifft, werden diese erst einmal nicht erfüllt. Stattdessen wird der Mann mit allen möglichen Klischeevorstellungen und Vorurteilen konfrontiert. Denn seine Hautfarbe ist braun, nicht weiß, wie das seiner ersten beiden Gesprächspartner. Der erste wähnt sich kulturell aufgeschlossen und will doch nur seine Vorurteile bestätigt wissen. Tiefer in die komplizierten Zusammenhänge von Krishnas familiären Wurzeln als malaysischer Inder einzusteigen, ist ihm viel zu anstrengend. Auch Dieter, der nächste, hat sich natürlich bestens mit seinen Privilegien als weißer Mann auseinandergesetzt. Zumindest ist er der festen Überzeugung, die sich allerdings in der Begegnung mit Krishna schnell als allzu vordergründig erweist. Die schwarze „Nurse“ Francis, die ihm danach gegenübersitzt, ist dagegen eine Erholung. Allerdings hat auch Francis sofort vermeintlich kluge Ratschläge für Krishna, der erst kürzlich aus London nach Berlin gezogen ist, parat, die diesem übergriffig erscheinen. So geht es weiter. Es folgen noch ein Weißer, der seine Erleuchtung in Goa und ähnlichen Resorts gefunden hat, und ein dicker Muslim, der ihn unbedingt zu Anal Sex überreden will.

Es ist bewundernswert, wie der Autor und Schauspieler Kumar Muniandy es schafft, so schwere Themen in einem berührenden und witzigen Abend zu vereinen. Er geht in die Tiefe und verführt dennoch zum Lachen. Dass Muniandy dies alles ganz alleine auf der Bühne zu verkörpern vermag, ist beeindruckend. Durch Tonbandaufnahmen seiner Gesprächspartner, auf die er mit großer Empathie, Emotionalität und Authentizität reagiert, entsteht der Eindruck, als wäre man live bei dem Speed Dating dabei gewesen. Und mehr noch: Als wäre man dabei in Muniandys Haut geschlüpft. Da nur er auf der Bühne zu sehen ist, rutschen die Zuschauer:innen mit ihm zusammen auf seinem Stuhl unangenehm und dennoch um Höflichkeit bemüht hin und her. Und erfahren ganz nebenbei, was es heißt mit den Auswirkungen von Rassismus, Klassismus und Homophobie gleichzeitig konfrontiert zu sein. Ein toller Abend, dem man noch sehr viele Zuschauende wünscht.

Birgit Schmalmack vom 6.10.25

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