Undertainment/LISA, Kampnagel
Undertainment/Lisa, KAMPNAGEL
©DominikMentzos
Man gab mir einen Körper wer sagt mir, wozu?
Man gab mir einen Körper — wer sagt mir, wozu?
Gegensätzlicher könnten die beiden gezeigten Inszenierungen der DRESDEN FRANKFURT DANCE COMPANY kaum sein, auch wenn sie beide mit dem Mittel der Improvisation arbeiten. Ihr ehemaliger Leiter William Forsythe ist für UNDERTAINMENT noch einmal an seine frühere Wirkungsstätte zurückgekehrt. Seine Arbeit mit dem Ensemble wirkt im Ergebnis sehr deutlich strukturiert. Nur von Körpergeräuschen begleitet, bewegen sich die Tänzer:innen in einem Muster der klaren Ordnung auf der völlig leeren Bühne. Nur ihr Rufen, Pfeifen, Zischen und Streichen ist zu hören. Oft tritt nur eine oder einer aus ihren symmetrischen Reihen, um Körperteile in Einzelteile zu zerlegen, die mit Hilfe der Gelenke wieder zusammengesetzt werden. Abgehakt und dennoch flüssig bewegen sie sich nur zaghaft fort. Sie scheinen eher zu erkunden, welche Bewegungsformen mit minimalem Aufwand möglich sind. Wenn sie sich dennoch einmal begegnen, nehmen sie prüfend Maß aneinander, doch meist ohne sich dabei zu berühren. Höchste Konzentration und Präzision sind hier in Bewegung zu sehen. Faszinierend entwickelt sich ein Sog, dem sich die Zuschauenden kaum entziehen können. Und das, obwohl auf der Bühne anscheinend so wenig Spektakuläres geschieht. Dennoch spürt das Publikum bis in die letzten Reihen der gefüllten K6, dass hier absolute Profis am Werk sind, die sich ganz in den Moment des Erschaffens, des Erspürens und des Miteinanders hineingeben.
Das ist in der zweiten Arbeit LISA, diesmal mit dem jetzigen Leiter der Company Ioannis Mandafounis, auch nicht anders, wenn hier mit völlig anderen Mitteln gearbeitet wird. Ein Klavier steht auf der Bühne, an ihm interpretiert Gabriele Carcano beschwingte Musik von Gabriel Fauré. Ebenso schwungvoll springen die Tänzer:innen in Kleidung der 30-ziger Jahre alleine, zu zweit oder in größeren Gruppen auf die Bühne. Dazu interpretiert die Tänzerin Nastia Ivanova das Gedicht „Man gab mir einen Körper“ von Ossip Mandelstam. Seine Zeilen bestimmen vielsprachig den Sound des Abends. „Man gab mir einen Körper — wer
sagt mir, wozu? Er ist nur mein, nur er. Die stille Freude: atmen dürfen, leben.“ Dieser Freude des Seins in all seinen Facetten spüren die Tänzer:innen in der sich anregenden Gemeinschaft geteilter Bewegung auf der Bühne nach. Sie nutzen dafür auch gerne die Rampe am hinteren Ende. Sie laufen, tanzen und hopsen hinauf, um sich von seiner obersten Kante hinunterfallen zu lassen oder plötzlich wiederaufzutauchen. Sie scheinen das Leben in der Freude an der Bewegung auszukosten. Doch dann ist das Klavier plötzlich verschwunden und es setzen wummernde Bässe aus dem Off ein, die sich immer weiter verstärken, bis die Lautstärke das Trommelfell bis an die Schmerzgrenze zu reizen beginnt. Schwarze Asche rieselt von der Bühnendecke. Die Tanzbewegungen des Ensembles werden immer verzweifelter. Während tumultartige Zustände der Hektik und des Chaos entstehen, halten sich zwei in der Mitte aneinander fest, bis auch sie auseinanderbrechen und einzig Nastia Ivanova alleine übrigbleibt und kämpft. Bis zum bitteren Ende. Der Tod des halb verhungerten, herzkranken Mandelstams im Gulag spiegelt sich in der Dramaturgie des Abends wider.
Auch dieser zweite Teil entstand wie der erste aus der Improvisation mit dem Ensemble. Mandafounis nennt sie „Live-Choreographie“. Durch die Gegenüberstellung der beiden Ergebnisse entsteht die besondere Wirkung dieses Gastspiels. Wozu Tänzer:innen in der Lage sind, wenn ihre Leiter die Kontrolle abgeben und ihnen unter verabredeten Rahmenbedingungen Freiheiten überlassen, konnte hier live miterlebt werden. Die Unmittelbarkeit und Echtheit des gemeinsamen Erlebnisses ist stets spürbar. Kein Abend ist wie der nächste, selbst für Mandafounis sei jeder eine Überraschung, wie er im anschließenden Publikumsgespräch erzählte.
Birgit Schmalmack vom 9.12.25
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