hamburgtheater

..... Kritiken für Hamburg seit 2000

Der Ursprung der Welt

Der Ursprung der Welt, Monsun

G2 Baraniak

Zeichnen wir die Vulva

Es beginnt herausfordernd: Die Zuschauer:innen sollen gleich zu Beginn eine Vulva zeichnen. Denn es gilt dem Geburtstagskind, das gleich zur Tür hereinkommen wird, einen würdigen Empfang zu bereiten. Schließlich feiert man heute den 300.000 Geburtstag der Vulva. Sie soll ganz viel Porträts ihrer selbst vorfinden, nebst einem dargebrachten Geburtstagsständchen. Also ist tätige Mithilfe gefragt. Zögernd greifen alle unter ihre Sitze und fangen an zu zeichnen. Vulvas in Blumen-, in Herzen- oder schematischer Form entstehen, mit rotem oder blauem Edding gezeichnet. Man übt noch das Ständchen, doch die Vulva scheint noch verhindert.

So müssen die beiden Performerinnen Hanni Lorenz und Marie-Paulina Schendel erstmal alleine ran. Und sie schaffen das perfekt. Sie lassen eine Sektflasche nach der nächsten knallen und ihre Flaschenpost offenbaren. Sie packen das ein oder andere Geschenk aus, indem sie die Konfettibomben explodieren lassen. So führen sie durch die Geschichte eines weiblichen Organs, das lange Zeit nur als das Gegenteil des entsprechenden männlichen Organs definiert wurde. Die Vulva als Nicht-Penis. In einer der Flaschen befindet sich auch die Überlieferung, die die NASA bei einer ihrer Expeditionen für eventuell anzutreffende Aliens vorbereitet hatte. Auf ihr sind ein Mann und eine Frau abgebildet: Der Mann mit gut sichtbarem Geschlechtsorgan, die Frau mit gar nichts zwischen den Beinen. Selbst der angedeutete Strich, den der Zeichner ursprünglich vorgesehen hatte, musste entfernt werden.

Und erst der Orgasmus. Durch die Jahrhunderte hindurch veränderte sich seine Interpretation. Früher galt er als zwingend erforderlich, um die Empfängnis zu garantieren. Also konnte man diese Annahme dafür nutzen, um entweder eine Schwangerschaft zu verhindern, indem die Frau auf keinen Fall Lust verspüren sollte bzw. musste als Mann dafür sorgen, dass die Frau zum Orgasmus kam, um ein Kind zu bekommen. Als die Wissenschaft sich klar wurde, dass es diesen Zusammenhang nicht gibt, kam das Konstrukt auf, dass ein Orgasmus für die Frau nicht so wichtig sei. Außerdem wurde zwischen vaginalem und klitoralem Orgasmus unterschieden. Das gipfelte in der Haltung eines gewissen Sigmund Freuds, der nur den vaginalen Orgasmus als erwachsenen Orgasmus bezeichnete und alles andere als therapiewürdig weil frigide einsortierte.

Die beiden Performerinnen führen durch die Geschichte in einem schnellen Parforceritt. Sie kleben sich kurzerhand einen Bart an, um in eine der zahlreichen definierenden Männerrollen zu schlüpfen, springen dabei auf ihrer dreiteiligen Tribüne herum, die aus Trampolin, Rutsche und Netzschaukel besteht. Hier können sie alles sein, mal kleines Kind, dass aus einem Aufklärungsbuch vorlesen bekommt, Frau, die sich in den Gynäkologiestuhl legt, das heißt in diesem Fall kopfüber in die Netzschaukel wirft, oder zwei Gangsterrapper, die nebeneinander die Rutsche heruntersausen und unten angekommen, ihre Weisheiten über die Babes kundtun.

Doch das Publikum darf natürlich nach der anfänglichen Mitmachaktion keinesfalls im Nichtstun versinken. Wenn das Publikum in Eierstöcke und Säcke aufgeteilt wird, müssen jeweils vier Vertreter:innen aus jeder Kategorie gegeneinander antreten: und zwar im Eierstocklaufen und Sackhüpfen. Drei weitere Zuschauer:innen dürfen auf eine bunte Pappmachevulva mit verbundenen Augen einschlagen und zum Vorschein kommen lauter gefüllte Muscheln, die auf den Boden rieseln. Muscheln für alle heißt es kurze Zeit später. Hier darf man seine Lecktechnik ausprobieren. Scheibenwischer gegen Feudel, wer ist am schnellsten?

So vergnüglich hat man selten etwas über die Vulva und weibliche Sexualität gelernt. Die beiden Performerinnen glänzen in ihrer Comedy-Lecture-Performance. Somit treffen die Regisseurinnen Meike Krämer und Amelie Möller vom Kollektiv frau emma gelb genau den witzigen unterhaltsamen und dennoch informativen Stil der Vorlage für diesen Abend: Graphic Novel von Liv Strömquist. Ein toller Eröffnungsabend für das neue Monsuntheater in der Billrothstraße.

Birgit Schmalmack vom 12.4.25

hamburgtheater - Kritiken für Hamburg seit 2000