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Weost, Lichthof

Weost, Lichthof

Sophia Krause

Die Einzelhaltung ist keine Option

Vergesellschaftung ist hier das Ziel. Das verrät die sanfte Stimme, die am Regiepult ins Mikro spricht. Doch die Zuschauer:innen stehen noch sehr verunsichert und vereinzelt im Raum des Lichthofs herum. Dabei seien wir frei. Und der Bühnenraum ist einladend gestaltet. Etliche bunte Schaumstoffinseln liegen auf dem Boden. Mehrere stabile Klettergerüste sind im Raum verteilt. Von allen Positionen sind die zahlreichen Bildschirme gut zu sehen. Doch es bedarf der Extra-Aufforderung der sanften Stimme, bevor einige es wagen, auf die Klettergerüste zu steigen oder es sich auf eine der Inseln gemütlich zu machen.

Es werden Fragen gestellt: Bist du stolz auf dich? Wo sind wir in 15 Jahren? Interessierst du dich für Politik? Bist du west- oder ostdeutsch? Was haben deine Eltern über die Zeit vor 1989 erzählt? Gehörst du zu einer von Diskriminierung betroffener Gruppe? Und Auszüge aus den Antworten eingespielt: „Zwei von uns sind im Osten aufgewachsen. Zwei im Westen. Eine von uns möchte die Stasi Akten ihres Vaters einsehen. Eine von uns kennt die Wende aus dem Schulbuch. Einem von uns geht das Thema nah. Eine von uns macht sich Sorgen um Jugendliche im Osten.“

Herausfordernd ist die Situation, die sich für die Zuschauer:innen ergibt. Sie fangen an, sich ein wenig verloren zu fühlen. Was ist hier ihre Rolle? Das ist natürlich beabsichtigt. Denn es gilt, Neuland zu erobern. Eine Veränderung zu durchstehen, sich mit Neuem zu beschäftigen. So wie es so viele erleben mussten, nachdem die Mauer 1989 gefallen war. Natürlich galt das nur für diejenigen, die bis dahin auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gewohnt hatten. Für diese Bürger:innen änderte sich auf einen Schlag alles, für die Westdeutschen blieb dagegen alles gleich. Wie geht es nun einer so jungen Generation, die keinerlei biographische Erfahrungen mehr gehabt hat. Gibt es für sie überhaupt noch die Unterscheide zwischen Ost und West? Das ist die Ausgangsfrage, die das Team um Kirsten Bremehr, Anne Reiter, Anne Pretzsch und Robin Plenio in ihrer Arbeit „Weost“, die sie zusammen mit neun Jugendlichen aus Erfurt, Berlin und Hamburg einzukreisen versuchten. Dazu arrangierten sie eine Installation aus jungen Stimmen aus Ost und West. Einige von ihnen sind wiedererkennbar mit im Raum, doch sie werden ebenso wie alle Übrigen zum Zuschauerkreis. So hören wir der vielstimmigen Collage aus ihren Ängsten, Träumen und Gedanken zu.

„Die politische Situation ist wie eine Erkältung“, meint einer von ihnen. Sehr lästig und man wird sie nicht los. Eine interessiert sich nicht für Politik. Eine denkt sie kann sowieso nichts ändern. Einer geht zu jeder Demo, weil er etwas ändern möchte. Einer denkt, er sollte sich mehr mit Politik befassen.

Sie zeichnen ein Bild einer Generation, die hohe Erwartungen an sich selbst hat, sich von den Zukunftsaussichten verängstigt fühlt und von einer menschenfreundlicheren Gesellschaft träumt. Mittendrin knallt Technomusik durch den Raum. Doch während die Beats zucken, wird in Textschnipseln von drastischen Fluchtversuchen durch Tunnelgrabungen berichtet. So mischen sich für die jungen Leute unter ihre wilden Tanzausbrüche die Berichte der Geflüchteten im Museumstreifen der Bernauer Straße. Der Rest ist Geschichte. Doch sie tanzen weiter, was die untergemischten Videoszenen beweisen. Junge Leute, die ihre Städte mögen, egal wo sie liegen. Diese jungen Leute haben Bedenken, doch die erwachsenen Teammitglieder sind noch skeptischer: In 15 Jahren haben wir hoffentlich den Faschismus hinter ihn gelassen und können geläutert auf diese Zeit zurückblicken. sagt Robin Plenio an einer Stelle.

Hin und wieder laufen auch Bilder von Kaninchen über die Bildschirme. Auch bei Kaninchen würde es etwas länger dauern, bis sie eine Gemeinschaft bilden würden. Doch wohl nicht so lange wie bei Menschen, die aus unterschiedlichen Systemen kommen. Doch diese junge Generation lässt keine Einteilung mehr zu. Wenn eine von ihnen sich als ostdeutsch definiert, hat das wohl eher mit ihrem Heimatort zu tun als mit ihrer Identität. Doch es gibt an diesem Abend keine klaren Zuschreibungen, keine deutlichen Definitionen. Die Zuschauer:innen müssen ihre eigenen Schlüsse aus der Vielstimmigkeit ziehen. So wie sich der Abend auch jeder vermeintlichen Stringenz entzieht.
Birgit Schmalmack vom 12.4.25

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