Zwischenräume, Sprechwerk

Zwischenräume, Sprechwerk
Foto: Christian Gotz
Exzellente Tänzer:innen zeigen ihr Können
„There's a bluebird in my heart“, grummelt eine tiefe Bassstimme aus dem Off. Dazu baumelt ein lebloser Körper von der Decke. Als er zu Boden fällt, fangen die zuvor fast unsichtbaren, hockenden Gestalten auf der Bühne an, sich zu bewegen. Drei Menschen im Smoking vollführen exzessive Bewegungen, sie schlagen ihre Arme um sich, werfen sich auf den Boden und stehen wieder. Derweil hat sich der Mann, von dem nur der nackte Rücken zu sehen war, aufgerichtet, und eine zarte Frau schmiegt sich an ihn und berührt bewundernd seine dicken Muskeln. Er wirkt riesengroß, denn er trägt Highheels, die seine Bewegung marschierend und stampfend werden lassen. Wer hier überlegen wirken soll, macht er mit jedem Schritt klar. Er springt mit der Frau ganz nach seinem Belieben wie mit einer Puppe um. Als er das Interesse an ihr verloren hat, wirft er sie einfach von sich.
So könnte man zu jeder der Figurenin „Closed Rooms“eine Geschichte erzählen, die die Zwischenräume beschreibt, zwischen ihrer äußeren Maske und ihren inneren Sehnsüchten, zwischen der Intimität und der Isolation, zwischen Kraft und Zerbrechlichkeit. Die Choreographie von Edwin Revazov ist das zweite der drei Stücke, die an diesem Abend „Zwischenräume“ im Sprechwerk gezeigt werden. Er studierte seine Arbeit, die er 2017 mit dem Ensemble des Hamburger Balletts in der Opera Stabile zeigte, neu ein. Dieses Mal mit dem Hamburger Kammerballett, das aus Tänzer:innen besteht, die aus der Ukraine aufgrund des russischen Angriffskrieges fliehen mussten.
Die erste Arbeit „Step lightly“ beruht auf einer Choreographie von Paul Lightfoot und Sol Leon. Sie handelt von dem vorsichtigen Bewegen auf dünnem Eis, das auch für viele Lebenssituationen zu passen scheint. Hier versuchen die Männer und Frauen auf der Bühne eine Haltung zu sich und den anderen zu finden. Sie entsprechen einerseits den an sich gerichteten Rollenerwartungen und suchen andererseits auch nach Wegen, sich aus ihren zu befreien. Mal ziehen sie sich ganz in sich zurück, mal versuchen sie sich ihren Raum zu ertanzen. Mal gehen sie ganz aus sich heraus und wirken geradezu unbeschwert und mal wirken sie wieder in sich gekehrt. Dennoch heißt es immer in Bewegung zu bleiben, denn wer stillsteht, wird untergehen. Die Musik zu dieser Suche besteht aus bulgarischen Volksliedern. Das wirkt traditionell, irritierend und melancholisch zugleich.
Die letzte Choreographie wurde extra für diesen Abend von Aleiix Martinez mit dem Hamburger Kammerballett geschaffen. Zum metallnen Viereck am Bühnenhimmel führt eine lange Leiter. Hoch hinaus fliegen die Gedanken und Ziele. Doch erst einmal bleiben die Menschen dem Boden verhaftet. In den kunstvollen Auf-, Ab- und Umwicklungen, in denen sie sich umschlingen, bleiben sie immer aufeinander bezogen und voneinander abhängig. Doch die Ablösung zu den Kurzzeitpartnern und die Zuwendung zu dem Nächsten folgen schnell. Alles zeigt, dass sie auf der Wanderschaft sich. Es soll weitergehen. Stillstand ist ein Fremdwort. Zusammen und doch alleine entwickeln sie sich immer weiter, bis einer von ihnen schließlich den Aufstieg wagt.
Dieser Abend zeigte nicht nur drei sehr unterschiedliche Choreographie-Handschriften sondern auch exzellente Tänzer:innen auf der Bühne. Der Initiative von Revazov ist es zu verdanken, dass sich das Hamburger Publikum an ihnen und ihrer Kunst erfreuen können.
Birgit Schmalmack vom 2.4.25
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